Die Hainich-Saga von Matthias Kaiser - Siebtes Kapitel
KAPITEL
Vom nostalgischen Pakt zwischen Schattenmorelle und Grießbrei
Wenn heute Vertreter meiner Generation von Eingemachtem schwärmen, erinnern sie sich an jene Zeit, als ihre Großmütter (und auch unsere Muttis, die damals im Osten zugleich den Sozialismus aufbauen mussten) noch Zeit fanden, vorwiegend ihr selbst gepflücktes Obst einzuwecken. Und das fast immer in so großen Mengen, dass die Mehrzahl dieser Unikate großmütterlicher Einkochwut oft mehrere Jahre so lange in dunklen feuchten Kellern ausharren mussten, bis ein Mitglied der Familie Appetit auf die dann inzwischen oft völlig verblassten Früchte verspürte. Was dann in verstaubten Gläsern ans Tageslicht kam, war in der Regel nur noch ein erbarmungslos überzuckerter Brei mit Pflaumen-, Birnen- oder Apfelgeschmack.
Was uns Kinder jedoch nicht davon abhielt, diese Melange aus großmütterlicher Fürsorge und Früchten förmlich zu verschlingen. Was rückblickend vielleicht auch daran lag, dass Omas Eingewecktes in jenen Tagen, als Schmalhans Küchenchef war, keine Konkurrenz zu fürchten hatte. Bekannterweise war das Konservenangebot in den Tante-Emma-Läden in den Fünfzigern des Zwanzigsten Jahrhunderts vor allem im Osten recht bescheiden. Einzig an den Festtagen – und auch nur dann, wenn im Westpaket Konserven fehlten – leistete man sich eine dieser unter dem Ladentisch gehandelten Edelkonserven, wie beispielsweise Ananas in Scheiben oder gezuckerte Mandarinen. Pflaumen, Kirschen oder Apfelmus im Glas zu kaufen, war in jenen Tagen noch nicht in Mode. Da verließ man sich voll und ganz auf die Omas. Nur wenn diese aus irgendeinem Grund einmal ausfielen, tauschte man notgedrungen auch schon mal ein Stück der guten „Lux“ (Seife) gegen Nachbars Eingemachtes.
Doch obwohl sich dieses großmütterliche Sortiment neben dem heutigen überwältigenden Angebot eines Unternehmens wie Hainich-Konserven natürlich mehr als bescheiden ausnimmt, genießen Erinnerungen an Omas Eingewecktes noch immer einen solch hohen Stellenwert, dass wir in unserer Familie – entgegen jeglicher Ratio – noch in jedem Sommer Unmengen von Obst aber auch Gemüse konservierten. Wobei unser Sortiment von Jahr zu Jahr schrumpfte. Was ganz sicher auch daraus resultierte, dass sich der Charakter von Konserven im Allgemeinen, und die von Hainich-Konserven im Besonderen, in den letzten Jahren derart unserem Geschmack angeglichen hatte, dass eine Fortführung dieser alten Tradition allein schon aus kaufmännischen Gründen eigentlich völlig absurd war.
Dass wir trotzdem auch weiterhin alljährlich die gute alte Sitte des Einweckens zelebrierten – wenn auch, wie gesagt etwas schaumgebremst – lag sicherlich vordergründig an der emotionalen Wertschöpfung, die wir aus einer solchen nostalgischen Rückbesinnung zogen.
Und das natürlich nur, weil wir es nicht beim reinen Akt des Einweckens beließen. Vielmehr feierten wir regelrechte Familien-Nostalgie-Orgien. Hauten uns lauthals solche Evergreens der Fünfziger, wie „Pack die Badehose ein“, „Es hängt ein Halfter an der Wand“ oder „Oh mein Papa“ um die Ohren und komplettierten unsere Happenings mit kleinen Tanzeinlagen.
Alles in allem handelte es sich dabei um spontan anberaumte Aktionen innerhalb der Verwandtschaft. Spontan, weil Pflaumen, Kirschen oder Äpfel auf jeden Terminkalender pfeifen. Sind sie reif, müssen sie umgehend ins Glas wandern. An Einfrieren war damals noch nicht zu denken.
Im Laufe der Jahre entwickelten sich unsere Einkochevents mehr und mehr zu kleinen Familienfesten, zu denen sich anfangs nicht selten von der ausgelassenen Stimmung angelockte Nachbarn; später dann aber auch gezielt eingeladene Freunde oder Stammgäste gesellten. Einige schlichen sich sogar unter dem Vorwand, uns beim Schälen und Entsteinen unterstützen zu wollen, förmlich in unsere nostalgischen Einweckrunden ein. Was wir natürlich anstandslos guthießen, denn jeder Gast steuerte sein Scherflein zur ausgelassenen Stimmung bei. Ganz zu schweigen, dass zu guter Letzt so ein oft mehr als klebriges Schlachtfeld auch aufgeräumt werden musste.
Inzwischen veranstalten wir übers ganze Jahr hinweg professionell organisierte Einweckfeste. Selbst im tiefsten Winter entführen wir unsere Gäste für ein relativ bescheidenes Salär für einige Stunden in die Atmosphäre ihre Kindheit.
So kann ich mich beispielsweise gut an eine Einweckfete an einem Adventssonntag im Dezember vor zwei Jahren erinnern. Damals, also noch vor der Corona-Zeit, hatte ich unseren großen Adventskranz zusätzlich mit einigen künstlichen Accessoires aufgepäppelt. Kleine glänzende Pappmaschee-Kirschen, -Äpfelchen und -Pfläumchen und blühende Mandelzweige verwandelten unsere große Küche in eine skurrile Erlebniswelt für kulinarische Erinnerungswanderer. In Ermangelung frischen Obstes hatte ich mehrere Kartons Schattenmorellen, Pflaumen, Himbeeren und Heidelbeeren im Glas geordert. Natürlich nicht, um sie nochmals einzukochen, sondern um diese Früchte, mit Gewürzen veredelt, in unser bewährtes Einweck-Menü einzubinden. Was beim Rehrücken mit Heidelbeersauce auch hervorragend gelang; beim Dessert „Grießbrei mit Omas Schattenmorellen-Kompott“ aber derart gründlich in die Hose ging, dass ich mich spontan entschloss, Sie in dieser kleinen Abhandlung mal nicht mit einem funkensprühenden Spezialitäten-Feuerwerk zu überraschen, sondern Sie anhand rationeller Rezepte der einfachsten Oma-Küche mit beiden Beinen auf den Boden der Kochrealität zurückzuholen.
Wobei es nicht das Schattenmorellen-Kompott war, das mich in Raserei versetzte, sondern das Dessert meines selbsternannten Kochkünstlers Ralf, einem überaus fleißigen Gärtnermeister, das meine Geschmacksnerven auf die Probe stellte. Der kochte nämlich für die Runde einen Grießbrei, der auf jeder Heimwerkermesse in der Kategorie „Umweltfreundlichster Tapetenkleister“ spielend eine Goldmedaille errungen hätte. Wofür er natürlich keine Schuld trug, denn wenn ihm sein liebendes Frauchen wirklich mal so etwas Banales wie einen Grießbrei kredenzte (eigentlich nur nach alkoholträchtigen Exzessen), kam der aus der Gefriertruhe. Analog verfuhr sie übrigens auch mit Vanille- oder Grießpudding.
Was mich an dieser Stelle veranlasst, ein paar jener überlieferten und tausendfach erprobten Rezepte unserer Großmütter niederzuschreiben, die nicht nur körperliches, sondern auch seelisches Wohlbefinden auslösen. Und vielleicht feiern auch Sie ja mal an einem Adventswochenende Ihre ganz private Einweck-Orgie. Eingewecktes finden Sie in jedem Supermarkt-Regal. Aber vielleicht entdecken Sie ja in Ihrem Keller auch noch ein paar alte Preziosen ihrer Mutter oder Großmutter.
So ein Vanillepudding weckt Erinnerungen an die wohlige Wärme unserer Kindheit, versüßt unseren Gang durchs Leben und ist am Ende, (nicht nur für die vielen Gebissträger) der letzte getreue Begleiter, der uns nicht im Stich lässt.
Natürlich ist es im hektischen Alltag oft unumgänglich und schon aus Zeitgründen gar nicht anders machbar, als einen solchen aus dem Tütchen anzurühren. Nur aus der Tiefkühltruhe: Dat mutt nett sin!
Für alle diejenigen, die sich jedoch einmal dem unglaublichen Aroma und der unübertrefflichen Geschmeidigkeit eines selbstgemachten Vanillepuddings hingeben möchten,
sei dieses kleine Rezept eine hilfreiche Anleitung: www.hainichkonserven.de
In der Rezeptsammlung finden Sie auch Oma´s Grießbrei, Grießflammeri und passend zu all diesen Rezepten ein klassisches Schattenmorellen-Kompott.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Nachkochen
Ihr Matthias Kaiser